01.04.2022

Der Touchpoint Management-Ansatz; Andrea Tetzlaff im Interview

Frau Tetzlaff, Sie agieren nach dem von Ihnen weiterentwickelten „Touchpoint Management-Ansatz“. Was ist das?

Unter „Touchpoint Management“ allgemein versteht man die Koordination aller unternehmerischen Maßnahmen mit dem Ziel, dem Kunden an jedem Berührungspunkt mit dem Unternehmen eine verlässliche und begeisternde Erfahrung zu bieten.

In meiner mehrjährigen Tätigkeit als Unternehmensberaterin habe ich oft erlebt, wie isolierte Einzelmaßnahmen Unsummen an Geld verschlungen haben, ohne den gewünschten Effekt zu erzielen. Mal ein Training für die Mitarbeiter, mal ein „Motivations-Booster“ für alle, …doch früher oder später war alles wieder beim Alten. Kundenbegeisterung wurde dem Zufall überlassen. Man hatte als Kunde Glück oder Pech- je nachdem an welchen Mitarbeiter man geriet. Das frustrierte alle- auch mich. Als ich das erste Buch von Anne M. Schüller („Das Touchpoint Unternehmen“) las, wurde mir schnell klar, dass dies genau mein Ansatz sein wird: ganzheitlich, effizient und kundenorientiert. Ich war damals einer der ersten sechs zertifizierten Touchpoint Manager, die von Anne M. Schüller persönlich ausgebildet wurden. Mit meinem Ansatz verbinde ich und meine Kunden alle unternehmerischen Maßnahmen auf dem Weg zur gelebten Kundenzentrierung und Servicekultur.

Um das zu erreichen, arbeite ich in folgenden vier erfolgsrelevanten Handlungsfeldern:

  • Das erste Handlungsfeld widmet sich dem großen Ganzen und der ORIENTIERUNG. Es gilt, ein gemeinsames Verständnis für den Auftrag (das WARUM) eines Unternehmens bei allen Beteiligten -auch bei den kundenfernen Abteilungen- zu schaffen. Ziel ist es, weg vom typischen Abteilungsdenken hin zu crossfunktionaler Zusammenarbeit im Sinne des Kunden zu kommen. Wir kümmern uns in diesem Handlungsfeld um den größten Hebel für authentisch, gelebten Service: eine “Kundenzentrierte Unternehmenskultur”. 
  • Im 2. Feld richten wir die Führung des Unternehmens auf “Begeisterung” aus.
  • Um “Kundenfokussierte Prozesse und Strukturen” geht es im dritten Handlungsfeld, mit dem Ergebnis, dem Kunden einzigartige Erlebnisse zu schenken.
  • Im 4. Handlungsfeld schauen wir auf das wertvollste Gut: Unsere Mitarbeiter. Es gilt, diese zum aktiven Mitgestalter für Kundenbegeisterung zu machen.

Mein TPM-A berücksichtigt genau diese Faktoren und stimmt diese sinnvoll auf-und miteinander ab. Damit ist die Wirksamkeit der Maßnahmen langfristig gesichert.

In der ersten Phase stellen Sie Ihrem Mandanten die Frage: "Was ist der eigentliche Sinn ihrer Leistungen für die Kunden?" Wie finden Ihre Kunden darauf die beste Antwort?

Hier empfehle ich folgende Fragen zu stellen:

  • Wofür braucht der Markt/ die Kunden uns/ unsere Dienstleistung oder Produkt?
  • Welche Probleme lösen wir?
  • Welchen Wert schaffen wir für unsere Kunden? 
  • Was macht uns besonders?
  • Was tun wir mit Leidenschaft?

Die Antworten auf diese Fragen ergeben den Dasein-Sinn, das WARUM eines Unternehmens, Auch „Purpose“ genannt. Welche Kraft von einem guten Purpose ausgehen kann, habe ich selbst vor 23 Jahren erfahren. Damals wurde ich an meinem zweiten Tag als Führungskraft in einem mittelständigen Unternehmen zum Inhaber gerufen. Zu meiner Überraschung erzählte dieser mir nichts von meinen Aufgaben und Verpflichtungen. Stattdessen erfuhr ich, warum er dieses Unternehmen gegründet hat, was ihn antreibt und welchen Nutzen er für seine Kunden stiften möchte. „Wir sind eine Energiequelle für unsere Kunden und schenken ihnen Urlaub im Alltag. Und alles, was die Mitarbeiter dafür tun, ist richtig.“ Seine Worte erzeugten in mir einen starken Wunsch, Teil des großen Ganzen zu sein.

Ein attraktiver Purpose erzeugt magische Anziehungskraft- bei Kunden als auch bei Mitarbeitern. Ebenso inspiriert er zu hohem Engagement. Als Menschen zeichnen wir uns dadurch aus, wie der Philosoph Julian Nida-Rümelin es formuliert, dass wir Verantwortung dafür tragen, wofür wir gute Gründe haben. Jedes Unternehmen, das seine Mitarbeiter stärker in die Verantwortung bringen will, sollte ihnen also genau diese Gründe liefern, um Verantwortung zu übernehmen. Verantwortung braucht Purpose. Wenn der Purpose feststeht und im Unternehmen kommuniziert wurde, dient er als starker Filter für alle unternehmerischen Entscheidungen.

Ihr zweites Handlungsfeld widmet sich dem Thema „Führung“. Wie einflussreich sind die Führungskräfte für den Erfolg Ihrer Veränderung?

Wie Mitarbeiter untereinander und mit Kunden umgehen, hat maßgeblich mit den Verhalten der Führung zu tun. Mitarbeiter orientieren sich nicht an Worten und Versprechen. Sie orientieren sich an konkreten Verhalten. Deshalb haben Führungskräfte einen enormen Einfluss, denn sie sind Träger der Unternehmenskultur und der damit gelebten Haltung. Eine Haltung kann nicht antrainiert oder verordnet werden. Sie entsteht durch Inspiration, Vorleben und Orientierung seitens der Führungskräfte. 

Meine Erfahrung zeigt, dass es Führungskräften häufig an elementaren Führungswissen und an Führungserfahrung fehlt. Die Ansprüche an Führungskräfte haben sich in den letzten Jahren stark verändert. Mit immer weniger Mitarbeitern soll die Leistung nicht nur gehalten, sondern noch gesteigert werden. Umstrukturierungen sind an der Tagesordnung und neue Generationen bringen andere Erwartungen mit. Kunden sind anspruchsvoller denn je und setzen Spitzenleistung von jedem voraus. In meinem zweiten Handlungsfeld stärke ich die Führungskräfte in ihrer Rolle und Verantwortung. Ich binde sie von Anfang an aktiv mit ein. Sie lernen, Führung neu zu denken und erhalten einen praxistauglichen Handwerkskoffer mit Methoden zeitgemäßer Führung. So können sie Rahmenbedingungen schaffen, die Spitzenleistungen ihrer Mitarbeiter ermöglichen.

Im dritten Handlungsfeld prüfen Sie die Prozesse. Wie sieht ein vorbildlicher Prozess aus?

Im Handlungsfeld „Prozesse“ geht es weniger um vorbildlich, sondern um nützlich und effektiv. Prozesse sollten so aufgestellt sein, dass sie die Mitarbeiter darin unterstützen, das Serviceversprechen des Unternehmens zu erfüllen und dem Kunden eine positive begeisternde Erfahrung zu bieten. Doch leider erlebe ich immer noch, dass Prozesse eher das Gegenteil bewirken. Wenn Mitarbeiter in Regelkorsetts gezwungen werden, werden sie Dienst nach Vorschrift machen. „Ich habe aufgehört zu denken.“, sagte eine Mitarbeiterin letztens zu mir. Schade, denn so entsteht definitiv keine Kundenbegeisterung. Auch „Über-Administration“ ist eine Gefahr, denn sie führt dazu, dass Mitarbeiter und Führungskräfte eher den Fokus auf Listen und Berichte legen, statt auf den Kunden vor sich.

In einem Workshop durchlaufe ich mit den Mitarbeitern eine typische Kundenreise durch das Unternehmen. Aus Kundenperspektive prüfen wir, welche Erfahrungen die Kunden an welchen Touchpoints machen. Dann analysieren wir die erfolgsrelevanten Touchpoints: Wo sind Begeisterungspotentiale? Was sind die Prozesse dahinter und wie können diese optimiert werden? Wo braucht es Standards, um eine verlässliche positive Erfahrung zu bieten? Wo brauchen Mitarbeiter Freiheiten und Spielraum? Wo können wir uns verbessern?

Oft führt dieses Hinterfragen dazu, dass Prozesse vereinfacht oder auch komplett entfernt werden. Das ist sehr gesund für ein Unternehmen. Die „Customer Journey“ ist eine sehr effektive Art, sich permanent aus Kundenperspektive selbst zu hinterfragen und gnadenlos alle Exzellenzfresser und Enttäuschungen zu eliminieren.

Im vierten Handlungsfeld geht es um die Mitarbeitenden. Welche Hindernisse liegen hier auf dem Weg zum Erfolg?

Mitarbeitende sind das wertvollste Gut. Jedes Unternehmen ist nur so gut, wie die Mitarbeiter, die darin arbeiten. Es gilt also, die bestmöglichen Talente anzuziehen und zu halten. Und da sind wir schon beim ersten „Pain Point“. Die Mitarbeiter von Morgen betrachten ihre Arbeit und ihren Arbeitgeber aus einer neuen Perspektive. Die Studie „HR-Strategie und -Organisation“ von Kienbaum (2020) macht die Herausforderung deutlich: „Der Einfluss der Mitarbeitererfahrung („Experience“) auf Mitarbeiterengagement, Mitarbeiterbindung und Performance hat sich für Personalentscheider zur strategischen Priorität entwickelt.“ Generell gilt, dass sich Talente zu Unternehmen hingezogen fühlen, die das beste Mitarbeitererlebnis bieten. Für Mitarbeiter gilt das gleiche wie für Kunden: Jeder Begeisterungsmoment hält den Mitarbeiter am Unternehmen. Doch seien wir ehrlich: In den meisten Unternehmen gibt es viel Raum für Verbesserungen! Um genau diese Verbesserungspotentiale geht es in meinem vierten Handlungsfeld. In einem kleinen Team durchlaufen wir die typische Reise eines Mitarbeiters (Employee Experience- Journey) durch ihr Unternehmen. Diese Methode hilft, sich auf die entscheidenden Punkte zu konzentrieren und genau dort wirksame Verbesserungen anzugehen.

Wenn Sie die besten Mitarbeiter Ihrer Branche anziehen, engagieren und halten möchten, sollten Sie einen Ort schaffen, an dem Mitarbeiter sich wohlfühlen und gern arbeiten. So sichern Sie sich die Loyalität und Spitzenleistung Ihrer Mitarbeiter und damit einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil.

Sie kommen aus der Dienstleistungsbranche und haben dort viel Erfahrung in Führungspositionen gesammelt. Wie hat das Ihre Arbeit beeinflusst?

14 Jahre lang habe ich in verschiedenen Rollen mit Kundenkontakt gearbeitet. Dort habe ich viele magische Momente aus verschiedenen Perspektiven erleben dürfen. Dank meiner dort gewonnen Empathie fällt es mir leicht, unterschiedliche Sichtweisen und wertschätzende Art miteinander zu verknüpfen. Ich höre sehr gern zu und beobachte, bevor ich interagiere. Als Praktikerin kenne ich die Hürden im Unternehmensalltag. Als Führungskraft habe ich gelernt, Menschen auf Augenhöhe zu begegnen und jeden ernst zu nehmen. Das gilt für Mitarbeiter, als auch für Kunden. Jeder ist einzigartig und besonders. Im People-Business gibt es keine Patentrezepte. Jeder Moment zählt.

Meine Mission ist, dass jeder Mensch individuellen und herzlichen Service erhält, der begeistert und Mehrwert bietet. Dieser Service macht in einer digitalen und leistungsorientierten Gesellschaft wieder “Mensch- Momente” und Wohlgefühl erlebbar. Wir machen das Leben lebenswerter, denn wir kreieren mit unserem Service unvergessliche Erlebnisse, aus denen wiederum Energiequellen für die Herausforderungen des Alltags entstehen.

Wie kann ein Industrie-Unternehmen von Ihrer Arbeit profitieren?

Bei dieser Frage muss ich lachen, denn es erinnert mich an eine Aussage eines alten Chefs: „Service ist was für Weicheier. Wir müssen hier Geld verdienen!“ Fakt ist doch: Der Kunde ist der wichtigste Mensch im Unternehmen. Denn er bringt das Geld. Doch Kundenansprüche haben sich in der immer komplexer werdenden Welt verändert. Pandemie, Krisen, Wandel entfalten eine so starke Dynamik, das Unternehmen es sich schlichtweg nicht mehr leisten können, sich nicht zu verändern. Mein Touchpoint Management-Ansatz wirkt auf allen Ebenen einer Organisation und ist damit ein großer Hebel für das dringend benötigte Umdenken. Egal in welcher Branche. Und was das Geld verdienen anbelangt: Wenn Kunden und Mitarbeiter merken, dass Sie sich für sie so richtig ins Zeug legen, dann gewinnen Sie in doppelter Hinsicht. Exzellente Kundenerlebnisse (CX) und Mitarbeitererlebnisse (EX) zahlen sich aus.

Die Formel lautet: CX + EX = ROI²

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