Sibylle Lachmann und Helmut Bauer

12.05.2020

Erfolgsmenschen in Zeiten von Corona: Sibylle Lachmann im Gespräch mit Helmut Bauer

Sibylle Lachmann, Diplom Psychologin, und die HWB Gruppe arbeiten seit vielen Jahren eng zusammen. Derzeit befinden sich viele Unternehmen in Norddeutschland im Ausnahmezustand. Viele Unternehmer und auch Mitarbeiter befinden sich aktuell noch im Homeoffice. Im folgenden Gespräch möchte Helmut Bauer, Geschäftsführender Gesellschafter der HWB Unternehmerberatung GmbH, von Sibylle Lachmann wissen, welche konkreten zwischenmenschlichen Herausforderungen aus ihrer Sicht während der Corona-Krise entstehen:

Helmut Bauer: Es freut mich sehr, dass Du Dir die Zeit für ein Gespräch nimmst. Es wäre schön, wenn Du Dich einmal selbst vorstellst und erzählst, was Du machst und was für Menschen zu Dir kommen.

Sibylle Lachmann: Ich bin Diplom Psychologin. Ich war zu Beginn meines beruflichen Lebens im wirtschaftlichen Bereich, anschließend im journalistischen Bereich tätig. An einem bestimmten Punkt in meinem Leben habe ich beschlossen, mein Hobby zum Beruf zu machen. Seit ich denken kann, ist es mir ein Anliegen, Menschen zu helfen, im Herzen zu sein; Menschen dabei zu helfen, vernünftig miteinander umzugehen und vor allem auch vernünftig mit sich selbst umzugehen. Das ist mir besonders wichtig. Deswegen habe ich dann irgendwann im zweiten Bildungsweg Psychologie studiert. Dies ist mir ein absolutes Anliegen und meine Berufung.

Helmut Bauer: Mit welchen Themen kommen Menschen zu Dir? Was ist das, was Deine Klienten motiviert, auf Dich zuzugehen? Welches sind die Themen vor der Corona-Krise gewesen?

Sibylle Lachmann: Vor Corona gab es zwei Hauptthemen. Zum einen Paar-Beziehungsthemen. Da kommen Paare oder auch nur ein Teil davon auf mich zu, die das Gefühl haben, dass sie in ihrer Beziehung, so wie sie ist, nicht mehr weiterleben können oder wollen. Der Klassiker ist hierbei die Dreiecksbeziehung. Dort kommt beispielsweise jemand zu mir, der oder die eine Affäre hat und eine Entscheidung treffen muss. Oder aber, was auch sehr häufig vorkommt, die Affäre ist aufgeflogen. Krisen in Beziehungen sind somit der erste Pfeiler. Der andere Pfeiler betrifft Menschen, die sich in einer Krise mit sich selbst befinden. Am Ende geht es aber immer um Beziehungen.

Helmut Bauer: Aktuell befinden wir uns in einer besonderen Situation. Seit vier Wochen sind wir in einem Ausnahmezustand. Ich will gar nicht so sehr auf die Paare eingehen, sondern ich glaube gerade dadurch, dass so viele Familien jetzt sehr eng zusammenrücken müssen, entstehen auch ganz andere Themen. Wie erlebst Du dies aktuell?

Sibylle Lachmann: Tatsächlich glaube ich, dass die Themen gar nicht so viel anders sind. Sie sind nur extrem konzentriert. Das heißt, wir können nicht mehr weglaufen. In meiner Wahrnehmung macht Corona einfach nur sichtbar, was vorher unsichtbar schon da war. Bei den einen Menschen sind es existenzielle Dinge, bei den anderen sind es andere Themen, die hochkommen. Das was vorher schon nicht gesund war, wird durch Corona deutlich stärker. Dies liegt daran, dass eine Grundangst überall herrscht, eine interessante Energie, die die Menschen irgendwie dazu veranlasst, sich mit den Themen zu beschäftigen, die sie vorher sowieso schon hatten.

Helmut Bauer: Ich möchte nochmal auf die Familien zurückkommen. Was sind da aktuell die Themen, die gerade passieren?

Sibylle Lachmann: Wenn die Kinder von draußen wieder reinziehen ins Nest, knüpfen Väter und Mütter in ihren Vorstellungen wieder bei 16 und 17 Jahren an. Themen wie: Wer bringt den Müll raus und der Konsum von digitalen Medien sind wieder präsent. Ich meine, das sind gestandene jungen Menschen. Bei uns zuhause ist der junge Mann 22 Jahre alt und hat einen Bachelor in der Tasche. Dennoch kommen alte Rollenbilder wieder zum Vorschein. Die Eltern und Kinder merken das oft nicht und jeder fühlt sich da in alte Zeiten zurückversetzt. Eine Situation, die man wahrscheinlich freiwillig nicht wieder aufgesucht hätte. Das liegt jetzt an Corona.

Helmut Bauer: Was ist Deine Einschätzung, ist das eher für die Zeit nach Corona gut, was da aktuell passiert, oder ist das eher etwas, wodurch in der Familie noch größere Konflikte für die Zukunft entstehen könnten?

Sibylle Lachmann: Da würde ich eine klassische Antwort geben: Das kommt darauf an. Ich sehe das als eine riesengroße Chance. Denn manche von diesen Konflikten, die mit 17 oder 18 Jahren ausgetragen werden sollten, sind damals zuweilen an den Hormonen gescheitert. Wenn jetzt hingegen erwachsene Kinder zurückkommen, rutschen die Kinder und Eltern in das alte Muster. Aber sie haben sich weiterbewegt. Dies bedeutet, sie können die Situation ganz anders betrachten. Wenn man sich hinterher dem Dialog stellt und nicht in der alten Hierarchie denkt, sondern auf Augenhöhe, dann wird man überrascht. Dann können Dinge jetzt geklärt werden, die ohne die Corona-Krise nie geklärt worden wären. Das ist ein ganz toller Zustand.

Helmut Bauer: Du hast eben das Thema Hierarchien angesprochen. Nun ist es durch die Corona-Krise so, dass viele in Heimarbeit sind. Ganz viele, die vorher in Führungspositionen waren, sind plötzlich zuhause. Was passiert dort aus Deiner Sicht?

Sibylle Lachmann: Ich glaube, es geht hierbei um das Thema Rolle. Ich habe zuhause einen anderen Hut auf als in der Firma. Das eine sind meine Mitarbeiter und die führe ich anders als zuhause meine erwachsenen Kinder oder auch meinen Ehepartner. Dennoch besteht die Einstellung, wenn die Strategie in der Firma so gut klappt, warum nicht auch zuhause. Wenn dies dann aber nicht funktioniert, wundert sich der ein oder andere. Es gibt hier so etwas interessantes wie Emotionen und die Herzebene. Eine Ebene, die Unternehmer manchmal an beiden Orten nicht wirklich mit reinnehmen. Das ist zuhause allerdings fataler als in der Firma.

Helmut Bauer: Glaubst Du, dass sich Menschen, in ihrem Arbeitsumfeld, durch die Corona-Krise, zukünftig anders verhalten werden? Oder glaubst Du, dass sie dann wieder in ihre alten Rollen hineinfallen?

Sibylle Lachmann: Ich halte das für eine Reifeprüfung. So wie ich vorhin sagte, dass der früher 16-jährige, der ausgezogen war, mit 24 endlich in der Lage ist, die Dinge anders zu betrachten, so sage ich auch, dass ein 50-jähriger Unternehmer, je nachdem wie weit er zu Beginn der Corona-Krise schon reflektiert war, jetzt ganz anders seine Augen öffnen kann. Er wird z.B. merken, wenn der Sohn plötzlich sagt: „Ach, halt doch den Mund“, dass er, wo er früher gleich zurückgeschossen hätte, jetzt auch auf seinen eigenen Anteil an dieser Situation schauen kann und dadurch neue Handlungsalternativen gewinnt. Wenn also Menschen schon vor Corona begonnen haben, sich selbst zu reflektieren, werden sie sich hinterher nochmal deutlich anders verhalten können. Denn sie haben die Chance, die Botschaft von Corona, die jenseits des Virus dahintersteckt, verstanden. Jemand der vorher aber schon nicht auf die Idee gekommen ist, seinen eigenen Anteil am Geschehen zu betrachten, oder sich selbst zu reflektieren, der wird sich sicher auch durch diese Stromschnelle nicht selbst in Frage stellen. Da sind dann nach wie vor eben immer die anderen Schuld.

Helmut Bauer: Wenn ich mir nun vorstelle, dass Du ein Paar bei Dir in der Paarberatung hast. Nicht ganz konfliktfrei und die sitzen nun zuhause. Muss ich mir dann vorstellen, dass da aktuell ein Kriegszustand herrscht oder wurde in der Zeit eher ein Angriffspakt vereinbart? Was ist hierbei Deine Erfahrung aus den Gesprächen mit den Paaren?

Sibylle Lachmann: Es ist ja so, dass wir aktuell einen Waffenstillstand brauchen. Was den Menschen, die zu mir kommen, oft schwer fällt ist, die Verantwortung für manche Probleme bei sich selbst zu sehen. Was ich dann vielen sage ist, dass sie auch darauf gucken sollen, was sie selbst anders machen können und nicht einzig ihr Partner. In den letzten zwei oder drei Wochen, hatte ich oft Telefonate, bei denen die Klienten sagten: „Und er hat wieder!“, „Und sie hat schon wieder!“, „Und das kann ja alles nicht funktionieren!“. Dann frage ich sie immer: „Wo ist dein Anteil?“. Wenn man aufeinander hockt, nicht wirklich weggehen kann, dann kann man auch nicht flüchten. Das heißt, die Themen werden schneller intensiver. Dies bedeutet, es kann herrlich geübt werden. Das ist so, wie wenn jemanden jeden Tag am Klavier sitzt und diese Person keine andere Wahl hätte, als zu üben. Diese Person würde auch schneller die Mondscheinsonate von Beethoven spielen können, eine Person, die nur einmal übt. Das bedeutet, in einer Beziehungskrise heißt es: üben, üben und nochmals üben. Jeden Tag. Dann steigen meine Chancen. Es kann aber natürlich auch schiefgehen.

Helmut Bauer: Wie ist Deine Prognose? Werden wir mehr Paare haben, die auseinander gehen oder haben wir Paare, die durch die Corona-Krise zusammengewachsen sind?

Sibylle Lachmann: Es tut mir leid, dass ich Dir nun wieder nichts anderes sagen kann als, es kommt darauf an. Es hängt davon ab, wie reflektiert die beiden bereits zu Beginn der Corona-Krise waren. Denn wenn sie noch ganz am Anfang ihrer Krise standen, dann ist es vielleicht ein zu großer Brandbeschleuniger. Dieser Brand kann dann auch nur ganz schlecht aufgehalten werden. Paare befinden sich noch mehr in der Schuldzuweisung, noch mehr dabei, die Verantwortung für den Konflikt woanders zu suchen, als bei sich selbst. Wenn es so ist, dann ist es verbrannte Erde, die nicht mehr so leicht fruchtbar gemacht werden kann. Wenn Paare aber schon auf einem guten Weg waren oder sich dabei begleiten lassen, dann glaube ich, dass sie eine gute Chance haben, hinterher miteinander glücklicher zu sein als vorher.

Helmut Bauer: Kommen wir nun nochmal zu einem heiklen Thema: Den sogenannten Dreiecksbeziehungen. Wie ist diesbezüglich Deine Erfahrung?

Sibylle Lachmann: Es gibt zwei Entwicklungen bei meinen Klienten. Ich begleite im Moment einige mit Dreiecksbeziehungen. Es gibt hier zwei Lager. Die einen wollen etwas für ihre Ehe tun. Ich meine, welcher Ehepartner hat nach 20 Jahren noch die Chance, gegen die Schmetterlinge, das Verliebtsein und das Neue? Das ist schon nicht ganz einfach. Wenn das jetzt wegen Corona wegfällt, dann wird zwangsweise das Aufregende weniger. Die Menschen sind bei mir in der Begleitung, um Entscheidungen zu treffen. Sie wollen ihre Ehe eigentlich nicht wegwerfen. Sie wollen herausfinden, ob es doch den Wunsch gibt zu bleiben. Dies ist leichter, wenn das Heimliche nicht stattfinden kann. Getrennt von einem aufgeregten Gefühl, kann das betrachtet werden, was ich beurteilen möchte, ohne ständig abgelenkt zu werden. Das ist die eine Variante. Und die andere Variante ist natürlich, dass es zuhause richtig eskaliert. Ich glaube aber schon, dass die Möglichkeit die Ehe zu retten durch die Corona-Krise eher steigt. 

Helmut Bauer: Du hast auf einer Veranstaltung gesagt, dass die Leute zum Teil zu Dir kommen, wenn eigentlich nichts mehr zu retten ist. Was ich sehr beeindruckend fand, war die Aussage von Dir, dass die jüngere Generation zu Dir kommt und herausfinden möchte, was sie besser als die Älteren machen können. Mit dem Ziel gar nicht erst in die Situation der Älteren zu gelangen. Kannst Du dazu noch etwas sagen?

Sibylle Lachmann: Das ist etwas, was die jüngere von der älteren Generation unterscheidet. Sehr viele junge Menschen kommen mittlerweile aus geschiedenen Familien. Die, die jetzt Mitte 20 oder 30 sind, haben wirklich viele Scheidungen und Trennungen erlebt. Das heißt, sie haben das Erfolgsmodell ihrer Eltern massiv in Frage stellen müssen, da dieses schlichtweg gescheitert ist. Das bedeutet, sie wollen es anders machen – besser. Ihnen fehlt allerdings das richtige Rollenmodell. Denn die Eltern haben die Strategie gefahren, wenn es nicht mehr geht, haue ich ab. Einer von beiden steigt aus. Das heißt „Exit Strategie“. Die jungen Leute fragen sich, wie sie es verhindern können, erst dann zu gucken, wenn es zu spät ist. Sie kommen dann, wenn sie merken, dass ihre Beziehung sich verändert. Das passiert zum einen, wenn kleine Kinder da sind. Zum anderen, wenn Themen wie übertriebene Eifersucht oder verschiedene Ideen von Rollenbildern vorhanden sind. In der heutigen Zeit Kinder in die Welt zu setzen, mit dem Anspruch, dass beide Elternteile arbeiten, verursacht viele Fragen. Hierfür gibt es nämlich noch wenige Vorbilder. Kommunikationsthemen anzugucken ist für die jungen Leute heutzutage normal geworden, daher denke ich, dass sie früher in die Beratung kommen als vorherige Generationen.

Helmut Bauer: Gibt es irgendetwas, das Du den Menschen, für die nächsten Wochen, die auf uns zukommen werden, auf den Weg geben willst?

Sibylle Lachmann: Ich würde den Menschen gern mit auf den Weg geben, dass sie während der Corona-Krise ihr Herz nicht aus den Augen verlieren. Das ist für mich auch ein gemeinsamer Nenner zwischen der Unternehmenswelt und der privaten Welt. In beiden Welten rate ich Personen nicht nur Kopf- oder Bauchmensch zu sein, sondern auch Herzmensch. Wir haben nun einmal diese drei Gehirne. Das Herz, in dem unsere Liebe zuhause ist, zu öffnen ist gerade in Zeiten, wo Menschen unter Druck sind, wichtig. Ein offenes Herz sorgt für mehr Gelassenheit, mehr Wohlwollen. Es sorgt dafür, mit einer ganz anderen vergebenden Haltung auf die vielen Fehler zu gucken, die die Politiker, unsere Familienangehörigen aber auch unsere Mitarbeiter machen. Wenn wir da mit einem liebevollen und vergebenden Ansatz rangehen, dann glaube ich, machen wir uns das Leben sehr viel leichter. Dafür müssen wir aber bei uns selbst anfangen. Also einen vergebenden, liebevollen Ansatz uns selbst gegenüber finden. Dann klappt’s auch mit dem Nachbarn.

Das volle Interview können Sie auf unserem YouTube Channel ansehen: Erfolgsmenschen in Zeiten von Corona: Sibylle Lachmann im Gespräch mit Helmut Bauer